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Bügelgedanken: Mehr als heiße Luft

Drei Körbe Bügelwäsche warten im hintersten Raum des Kellers auf mich. Drei Körbe! Das kann entmutigen. Allerdings: Es hat auch sein Gutes. Denn hier unten bin ich meistens alleine. Da stört einen so schnell niemand, da kann ich mir beim Bügeln Zeit nehmen: Zeit für meine Gedanken, Zeit, meine Lieblingsmusik zu hören. Und niemand, der hier beim Klang eines herrlichen Gesangstücks von Händel (YouTube Hörbeispiel unter dem Beitrag) naserümpfend sagt: „Oh Mama, da denkt man ja, da schrillt eine Sirene!“

Nein, hier unten habe ich Zeit für mich. Und heute habe ich noch dazu eine Idee: Statt Musik könnte ich doch mal in den Podcast von mi-di reinhören. Unter dem Namen „Windhauch Windhauch“ gibt es da nämlich wöchentlich einen Podcast über die Zukunft der Kirche mit spannenden Diskussionen und engagierten Gesprächspartnern.
Also – Bügeleisen einschalten und am Handy den Podcast auswählen.
Und natürlich schön laut stellen – schließlich muss das Zischen des Bügeldampfes übertönt werden!

Los geht’s.
Im Gespräch miteinander sind:
Tobias Sauer (katholischer Theologe, Gründer des ökumenischen Netzwerks „ruach jetzt“ und Moderator des Podcasts),
Hans-Hermann Pompe (evangelischer Pfarrer und Referent für Mission und Kirchenentwicklung der Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung (mi-di) in Berlin) und
Professor Michael Herbst (ebenfalls evangelischer Pfarrer und Professor für Praktische Theologie in Greifswald, außerdem dortiger Leiter des Instituts zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung (IEEG)).

Kaum zwei Hemden sind gebügelt, und das Gespräch darüber, wie die „richtige Form von Kirche heute“ aussehen könnte, hat mich in seinen Bann gezogen.

Gemeinde neben Gemeinde oder „Unordentliche Region“?
Da berichtet Hans-Hermann Pompe von seiner Erfahrung, dass in der evangelischen Kirche oft ein Misstrauen gegenüber der nächsthöheren Ebene herrscht: Die Kirchengemeinde beäugt kritisch, was der Kirchenbezirk treibt, der Kirchenbezirk und die Kirchengemeinde beäugen kritisch die Landeskirche, und alle drei beäugen kritisch die EKD. Da kann ich gedanklich sofort andocken, dieses Phänomen kenne ich.
Pompe regt dazu an, sich nicht durch parochiale Begrenzungen engführen zu lassen, sondern die Chancen zu entdecken, die durch den Kontakt zu Nachbargemeinden und damit zum und im Kirchenbezirk entstehen können. Ein charmanter Ansatz, finde ich. Was für Chancen darin doch alles stecken könnten!
Michael Herbst konkretisiert Hans-Hermann Pompes Gedanken mit dem Begriff der „Unordentlichen Region“: Statt einer Form von Kirche, wo sich eine Gemeinde flächig neben der anderen befindet, plädiert er für regionale Angebote mit einer Mischung aus klassischen Kirchengemeinden, zentralen Kirchen mit ansprechendem Programm sowie fresh-X-Angeboten für Kirchenferne. „Unordentliche Region“ – dieser Begriff gefällt mir! Muss ja nicht immer alles in der klassischen Ordnung verbleiben!

„Die Wahl haben“ – oder „Vollprogramm“?
An dieser Stelle muss ich die Pause-Taste drücken und den Podcast kurz anhalten. Meine Gedanken, noch kraus und ungeordnet wie die Wäsche im Korb, beginnen sich zu entfalten.
Wenn wir als Pfarrerinnen und Pfarrer, als Presbyterinnen und Presbyter, als Gemeindeglieder unseren Blick vom eigenen Kirchturm schweifen lassen hin zu den Kirchtürmen in der Umgebung, dann kann in einem begrenzten Bezirk ein großes Angebot gemacht werden – jedenfalls ein weitaus größeres, als wenn nur eine einzelne Ortsgemeinde zuständig wäre. Und ist es den Menschen nicht auch wichtig, eine Wahl zu haben? Wenn Gemeinde A einen tollen Gospelchor hat, Gemeinde B Lobpreisgottesdienste anbietet und Gemeinde C ihren Schwerpunkt auf Kunst und Kirche legt – dann liegt es doch nahe und ist wünschenswert, dass man dort Heimat findet, wo man sich seinen Bedürfnissen entsprechend aufgehoben fühlt. Dazu könnten dann Angebote für Kirchenferne kommen sowie offene Kirchen, diakonische Angebote und vieles mehr. Innerhalb eines Kirchenbezirks kann das oft ermöglicht werden – innerhalb einer einzelnen Ortsgemeinde ist so ein „Vollprogramm“ (M. Herbst) im Grunde unmöglich.
Hier scheint mir ein Umdenken tatsächlich wichtig: nicht nur das, was man selbst Verkündigungsform wichtig findet, zählt, sondern auch das, was andere wichtig finden. Ich verweise hier gerne auf meine Inspiration zu den Skateboard-Pastoren

Sie merken: Der Podcast lädt ein zum Austausch und zum Weiterdenken.
Ich schalte wieder an, das Gespräch geht munter weiter. Die Wäsche bügelt sich quasi von selbst.

Vom Evangelium reden – und das Evangelium reden lassen
Es wird diskutiert über die Frage, ob die Hoffnung auf eine neue Kirchenstruktur nicht paradoxerweise bei den Leuten liegt, die kaum in der Kirche auftauchen. Spannend, finde ich!
Von da ist es dann nur noch ein kurzer Sprung zum Thema Evangelisation. Mit Tobias Sauer als katholischem Theologen und seinen beiden evangelischen Gesprächspartnern wird hier um die Begriffe „Evangelisation“ und „Mission“ gerungen, um das Verhältnis von Hören, Verkündigen, Handeln.
Ich finde es schön zu erleben, wie alle drei Gesprächspartner immer wieder sehr persönlich darlegen, warum es ihnen wichtig ist, dass andere Menschen die Chance bekommen, Gott und dem Evangelium zu begegnen, ja von Gott angerührt zu werden.
Diese persönlichen Aussagen geben dem Podcast – so empfinde ich es – einen besonderen Wert. Denn diejenigen, die hier sprechen, reden nicht um den heißen Brei herum, sondern stehen Rede und Antwort mit all dem, was sie selbst als tragend in ihrem Leben erfahren haben.
Noch weitere große Themen werden gestreift oder sogar ausführlich besprochen: was ist Aufgabe einer Predigt, was ist Wahrheit, wie geht man mit dem Wunsch nach Spiritualität um, wie können Kontakte zu Kirchenfernen angebahnt werden und anderes mehr.

Einig ist man sich am Ende des Gesprächs darin:
Kommunikation des Evangeliums heißt nicht „Ich setze mich durch“, sondern Kommunikation des Evangeliums besteht darin, dass sich das Evangelium durch meine Kommunikation selbst hörbar macht, dass es sich selbst kommuniziert.
Nicht ich „mache“ den Glauben in einem anderen Menschen – das ist unverfügbar Gottes Tat. Aber ich kann mit meiner Kommunikation, mit meinem Reden und Tun beim anderen eine Offenheit, Bereitschaft, Neugier oder auch ein Bedürfnis wecken, welches den anderen das Evangelium hören lässt.

Was ist mein Fazit? Dieser Podcast bietet gute 70 Minuten spannende Gespräche, ermutigende Gedanken und Diskussionsanregungen.
Und ganz nebenbei ein kurzweiliges Bügel-Begleitprogramm.
Trotz Dampfbügeleisen: Hier kommt viel mehr bei raus als heiße Luft!

Zum Nachhören:
https://windhauch.ruach.jetzt/podcastepisode/7-hans-hermann-pompe-midi-michael-herbst-
ieeg/

 

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