Bedeutungsverlust, Mitgliederrückgang, Pfarrstellenabbau, möglicherweise sogar das Ende der klassischen Parochialgemeinde? Szenarien, die vielerorts als bedrohlich empfunden werden, nimmt der Kirchenbezirk Germersheim als Herausforderung und Chance für einen Neustart wahr: „Kirche im Aufbruch“ heißt das Projekt, mit dem die Germersheimer Protestanten auf kirchliche und gesellschaftliche Entwicklungen reagieren und mehrere Reformprozesse unter einen Hut bringen möchten.
Ziel sei es, im Kirchenbezirk ein gemeinsames Konzept für eine Kirche der Zukunft zu entwickeln und umzusetzen, schreibt der frühere Dekan des Kirchenbezirks und jetzige Bildungsdezernent der Landeskirche, Claus Müller, in einem Beitrag im Pfälzischen Pfarrerblatt (Nr. 4/2021). Namensvetter und Projektkoordinator Pfarrer Martin Müller hofft, dass nach dem Ende der Corona bedingten Zwangspause „Kirche im Aufbruch“ wieder an Fahrt aufnehmen wird. „Nicht erst seit Corona ist vieles in unserer Kirche und in unserer Gesellschaft im Umbruch, wandelt und verändert sich. Auch wir als Kirchengemeinden im Dekanat Germersheim müssen deshalb überlegen, wie wir in unseren Kirchengemeinden in Zukunft leben wollen und welche Angebote und Strukturen wir brauchen, damit die Menschen im christlichen Glauben Sinn, Halt und Orientierung finden können. Ich bin überzeugt, dass wir in den Gemeinden des Kirchenbezirks noch jede Menge Schätze entdecken, die uns dabei helfen können, den Wandel positiv zu gestalten.“
Die Idee: Die verschiedenen kirchlichen Zukunftsprozesse, die, wie Claus Müller in seinem Essay im Pfarrerblatt schreibt, „ziemlich unverbunden nebeneinander herliefen“, werden gebündelt und die ganze Region in den Blick genommen. Dazu sollen möglichst viele Haupt- und Ehrenamtlichen, Gemeinden, Dienste und Arbeitsbereiche eingebunden, aber auch externe Impulse, Fachkompetenz und Moderation in Anspruch genommen werden. Die Vision: Die vier biblischen Leitbilder von Exodus, Salz der Erde, barmherzigem Samariter und Pfingsten stehen symbolisch für einen Aufbruch und eine Kirche, die die Menschen mitnimmt und begeistert. Das Ziel: Die Kirchengemeinden in der Region entwickeln gemeinsam Ideen, Konzepte und tragfähige Strukturen für die künftige Gestaltung kirchlicher Arbeit vor Ort.
Dank bereits vorhandener Strukturen und Kooperationsregionen könne das Konzept an mehreren Punkten anknüpfen: Im Kirchenbezirk arbeiten Gemeindepädagogischer Dienst, Jugendzentrale, Bezirkskantorei und Kita-Verband Speyer-Germersheim schon länger übergemeindlich erfolgreich zusammen. Bei einem Impulstag habe sich die Leistungsfähigkeit der Leitbilder gezeigt. Sie seien „hinreichend klar, um eine gemeinsame Vision einer Kirche der Zukunft zu ermöglichen und dem Aufbruch eine gemeinsame Richtung zu geben“, schreibt Claus Müller. Seit 2020 ist „Kirche im Aufbruch“ ein LabORAtorium und somit Teil der landeskirchlichen „Erprobungsräume“.
„Kirche im Aufbruch“ beginnt im Kopf
Als Kommunikationsplattform ist bereits eine eigene Homepage (www.kirche-im-aufbruch.evpfalz.de) unter der redaktionellen Leitung von Martin Müller online. Dort ist auch eine Tauschbörse geplant, auf der sich Kirchengemeinden oder Gemeindegruppen miteinander vernetzen und austauschen können – materiell und immateriell. Ein digitaler „Kundschafterkurs“ für die im Herbst 2020 neu gewählten Presbyter mit vier Kursabenden habe, so Müller, den Teilnehmern Einblick in Methoden und Themen kirchlicher Regionalentwicklung ermöglicht. Besonders positiv sei die Möglichkeit aufgenommen worden, sich mit anderen Presbytern auszutauschen. Elf Gemeindepfarrer und -pfarrerinnen produzieren abwechselnd unter dem Titel „Angedacht zwischen Rhein und Reben“ einen wöchentlichen Videoimpuls. Hinter der Kamera steht Jürgen Schaaf vom Gemeindepädagogischen Dienst des Kirchenbezirks Germersheim, der das Projekt „Kirche im Aufbruch“ auch in den Sozialen Medien begleitet.
Die Erfahrungen, die während der Lockdowns gesammelt wurden und vor allem die darin entwickelten kreativen Ideen zu neuen Formen kirchlichen Arbeitens und kirchlicher Verkündigung könnten in den Aufbruchprozess miteinfließen, erklärt Claus Müller. „Als Kirche können wir uns treiben lassen oder den Prozess proaktiv mitgestalten.“ Martin Müller fügt an: „‘Kirche im Aufbruch‘ beginnt im Kopf, mit der Sehnsucht und der Begeisterung dafür, Neues zu entdecken, statt die derzeitigen Veränderungsprozesse immer nur als Verlust zu sehen.“ Mit Spannung erwartet Müller auch, welche Impulse der neue Germersheimer Dekan Michael Diener, der sein Amt im September antritt, setzen wird. Als Vorsitzender des Kuratoriums von midi (Evangelische Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung) bringe Diener sicher viel Wissen im Bereich der kirchlichen Regionalentwicklung mit. Text: Christine Keßler-Papin
Mehr zum Thema: www.kirche-im-aufbruch.evpfalz.de; https://www.mi-di.de
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