Schmetterling am Adventskranz

Wir sind mal wieder mittendrin in Zeiten des Übergangs. In der Politik, im Klima, in der Wirtschaft ohnehin, aber auch im Kalender. Das Wetter kann sich noch nicht entscheiden, ob es eher zu Herbst oder schon zu Winter tendiert und auch das Kirchenjahr ruft die Zeiten des Übergangs aus. Hinter uns liegt der Ewigkeitssonntag, vor uns der Advent, dann kommt Weihnachten und dann die vielversprechende „Zeit zwischen den Jahren“, in der man sich so viel vornimmt, was dann am Ende doch in diesem Jahr nicht mehr zu schaffen ist.

Fünf Wochen dauert dieses Jahr noch, dann beginnt das nächste, aber viele Sorgen, Fragen und Projekte werden wir mit hinübernehmen und auch in 2024 weiter bearbeiten.

„Nur viermal im Jahr Gottesdienst feiern, dafür aber die Kirche voll.“ (Erik Flügge)

In diesem Jahr ist mir das Bild des Schmetterlings ins Bewusstsein gekommen. Zuerst in der midi-Tagung „Zukunft ist jetzt!“, die sich mit den Ergebnissen der aktuellen Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung beschäftigte und auf zum Teil auf sehr provokante Weise (Stichwort: „Nur viermal im Jahr Gottesdienst feiern, dafür aber die Kirche voll“ im Beitrag von Erik Flügge) die Zukunft der Kirche in den Blick nahm.
Dort begegnete mir das Bild in der Andacht von Birgit Dierks. Es ging um die Imagozellen, die im Puppenstadium für den Umbau von der Raupe zum Schmetterling sorgen, die alte Gestalt abbauen und eine völlig neue aufbauen. Natürlich verbunden mit dem Gedanken, wo denn die Imagozellen in der Kirche liegen, die den Umbau gestalten.

Dann tauchte der Schmetterling wieder auf im Ewigkeitssonntag, den ich etwas zeitverzögert im Stream sah. „Gibt es in der Sprache der Raupen ein Wort für Schmetterling?“ fragte der Pastor (denn es war in Norddeutschland) die Gemeinde. Wissen die kleinen unförmigen, stacheligen und gefräßigen Raupen etwas von der anderen Wirklichkeit jenseits des Puppenstadiums?

Rückgang von Gemeindegliedern Pfarrstellen und Pfarrpersonen zwischen 1970 und 2030. Grafik: Kaufmann

„Gibt es in der Sprache der Raupen ein Wort für Schmetterling?“

Nun war ich es, der die Verbindung zur Kirchenentwicklung zog. Hatten wir doch gerade auf der Synode, die immer zwischen Bußtag und Ewigkeitssonntag liegt, das Pfarrstellenbudget vorgestellt und wieder mal feststellen müssen, dass die Zukunft der Kirche anders aussehen muss als die Vergangenheit, weil wir mit der aktuellen Form von Kirche immer weniger Menschen erreichen. Die Flächen, über die sich die rund 2.000 Gemeindeglieder einer Durchschnittspfarrstelle verteilen, werden immer größer und die Zahl der Menschen, für die Kirche nicht mehr dazugehört, wächst ebenfalls seit den 70er Jahren rapide an.

„Wird sich in Zukunft aus der behäbigen Raupe Kirche vielleicht auch ein schöner Schmetterling entfalten?“

 

„Wird sich in Zukunft aus der behäbigen Raupe Kirche vielleicht auch ein schöner Schmetterling entfalten?“ fragte ich mich und sah mich kurz darauf mit der Anschlussfrage konfrontiert, wie denn so eine Schmetterlingskirche sei.

Flatterhaft von Blüte zu Blüte, von Event zu Event schwebend? Bunt schillernd, um sich in der Kürze des verbleibenden Sommers möglichst erfolgreich fortzupflanzen oder wie die Nachtfalter, im Verborgenen lebend, der Erleuchtung entgegenfliegend?

Schnell wurde mir klar, dass das Bild des Schmetterlings wohl kein tragfähiges Kirchenbild ist.
Wir werden also auch in Zukunft wohl keine Schmetterlingskirche sein.

https://biblecards.wordpress.com/

Aber das Bild, dass es nicht einfach so weitergeht, sondern etwas sterben muss, etwas verwandelt wird und dann Neues sich entfalten kann, passt trotzdem auch für die Zukunft der Kirche.

Die vier KI-generierten Szenarien des Priorisierungsprozesses zeigen andere Bilder von Kirche als bunte Schmetterlinge, aber auch diese Kirchenbilder sind auch keine Hoffnungszeichen für ein Weiter-so. (Schönere Hoffnungszeichen zeigt dieses Video von midi, aus einer Kirche, in die wir auch schon mal einen Einblick hatten.)

Ich glaube ohnehin nicht, dass unsere Phantasie ausreicht, um die Zukunft der Kirche zu entwickeln. Dafür sind es zu viele Fragen und zu viele Ungewissheiten. Wir können hier und da etwas probieren, was uns vielversprechend erscheint, aber ob die Saat aufgeht, wird erst die Zukunft zeigen. Wir können aus der Vergangenheit lernen und neue Formen entwickeln, aber ob sie passend sind,entscheiden nicht wir, sondern die Menschen, zu denen wir gesandt sind und die sich laut KMU VI immer weniger für Geistlich-Spirituelles interessieren.

Vielleicht braucht es an mancher Stelle auch wieder mehr prophetische Worte, die eine Möglichkeit anderen Denkens jenseits der Singularität, des Influenzens und der Selbstoptimierung eröffnen, weil es vielleicht nicht immer höher, schneller, weiter geht.

Vielleicht sind die alten Worte von bedingungsloser Annahme, Vergebung und Begabung doch tragfähiger, als wir und viele andere das glauben.

Vielleicht braucht es die Umkehr zu Gott, der allein in der Lage ist, sich Konzepte wie einen Schmetterling zu überlegen, die von kleinen dicken Raupen zu großen bunten Flattermännern und -frauen werden. Wahrscheinlich braucht es seine Kreativität für die Zukunft der Kirche.

Deshalb werde ich mir in diesem Jahr einen Schmetterling in den Adventskranz stecken, damit er mich daran erinnert, dass da mehr kommt als nur Weihnachten mit der Geburt im Stall. Das der Advent auch auf die Ankunft des Zukünftigen weist, wenn Gottes Reich Wirklichkeit werden wird. Ganz jenseits von unseren Vorstellungen.
Vielleicht bekommen wir davon hier und da schon einen Vorgeschmack, so ein kleines Plätzchen zu schmecken und zu sehen, um unserem Traum von Kirche weiter nachzustreben und uns zu freuen auf die schillernde und bunte Zukunft, die vielleicht uns wartet.

Bis dahin gibt es noch viel zu tun, also schaffen wir gesegnet weiter in ORA und LabORA!