Hoppla!

Seit einigen Tagen steht bei uns auf dem Platz an der Kirche dieses Hinweisschild. Ein großes Ausrufezeichen sagt den Vorbeieilenden, direkt am Eingang zu den Gemeinderäumen: Achtung!
Nur, worauf soll man achtgeben? Dass das Schild eine gebrochene Bodenplatte abdeckt, ist nicht zu erkennen. Ebenso wenig, dass die nun lockere Platte eine Stolperfalle darstellt, vor der gewarnt werden muss.
Also geschieht, was geschehen muss: die Passanten machen sich ihren eigenen Reim darauf: Von meinem Arbeitsplatz aus sehe ich das Schild und sehe, wie immer wieder Große und Kleine stehen bleiben. Das Schild zieht die Blicke und die Aufmerksamkeit auf sich und wird zum Dreh- und Angelpunkt auf dem Platz. Kinder vom Kindergarten nehmen es als Zielpunkt für Wettrennen. Erwachsene betrachten es aus der Nähe und gehen einmal drum herum. Jugendliche versuchen ihre Kräfte und heben es an: Wer schafft es mit einer Hand? Jemand hat es auch mal verschoben und an die Kirchenmauer gestellt, so dass die Kirchendienerin kurz darauf schnell herbeieilte, um die Gefahrenstelle wieder abzusichern. Und einer hat in dem Schild dann sogar noch einen idealen Platz gefunden, um einen verlorenen Handschuh gut sichtbar auf der Stange zu präsentieren und dem Eigentümer die Suche zu erleichtern.

Alle Achtung, was so ein Schild an Interesse, an Kräften und Ideen freisetzt, ein Aufmerken, Aufschauen, Gespanntsein – nur, weil etwas Augenfälliges dort steht, wo es eigentlich nicht hingehört.
Ich komme ins Grübeln: Könnte das zumindest eines der Probleme unserer verfassten Kirche sein? Sie steht da, wo sie hingehört. Ein Gebäude, meist an zentraler Stelle, wo es jeder kennt und vermutet. Die Glocken läuten, Menschen treffen sich, Gottesdienste finden statt – all das mehr oder weniger genau so, wie die Menschen es kennen oder erwarten, ob sie selbst daran teilnehmen oder nicht. Die Kirchen melden sich zu Wort, wenn es um aktuelle gesellschaftliche Themen gibt, beziehen Stellung zu Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung. Das ist gut, richtig und wichtig, weil man sich in unruhigen Zeiten darauf verlassen kann.

Aber daneben brauchen wir offenbar auch Elemente, die uns überraschen, die uns neugierig machen, uns mitten im Alltag anhalten und innehalten lassen. Ja, wir brauchen Ausrufezeichen oder Hinweisschilder, die Kräfte freisetzen und unsere Phantasie beflügeln. An Orten, die man vielleicht nicht sofort mit Kirche gleichsetzt, zu Zeiten, die jenseits von sonntags um 10 Uhr liegen.
Die Erprobungsräume erzählen davon. In der Pfalz und in vielen anderen Landeskirchen entstehen plötzlich Ideen und es gibt Freiräume, diese Ideen auszuprobieren und auszugestalten. Da machen Menschen, die mit den traditionellen Formen von Kirche wenig bis gar nichts (mehr) anfangen können, auf einmal die Erfahrung: „Hoppla! Das ist Kirche für mich!“.

Wenn wir uns als Christen an Orte begeben, an denen Menschen automatisch vorbeikommen und es ihnen damit ermöglichen, Kirche und Gottvertrauen und Gottes Geistkraft an Orten zu erfahren, wo sie es gar nicht vermuten – sei es auf dem Weg in den Kindergarten oder beim Spaziergang, werden wir für einen Hoppla-Effekt sorgen können. Und wenn sie dann dort innehalten, wird aus dem Achtung-Schild vielleicht sogar ein großes Ausrufezeichen Gottes!